12. März 2002 - Thüringer Landeszeitung / „Wenn die Zeit wieder reif ist …“

Ein Hauch von Oberammergau durchweht die Küllstedter Kirche

Von Monika Köckritz
Küllstedt (tlz) „Ihr schlaft noch immer?“ Jesus hat die am Ölberg lagernden müden Jünger aufgeschreckt. Jürgen Hagedorns Worte schallen in der leeren, hohen Kirche, die ein Hauch von Oberammergau durchweht. Auch an diesem Tag wird für die Passionsspiele geprobt, für die Küllstedter Passionsspiele mit ihrem ganz eigenen Zuschnitt. Intensiv, Szene um Szene. Bis jede von ihnen klappt.

 

Weiterlesen: Spielleiter Wolfgang Montag gibt unermüdlich Hinweise, verlangt hier stärkere Betonung, dort mehr Zuwendung zum Publikum. Im Spiel der Akteure steckt Ehrgeiz. Noch eindrucksvoller als bei der ersten erfolgreichen Aufführung 1996 soll die Inszenierung ablaufen – in diesem Jahr sogar vier Mal: am 31. März und 1. April (jeweils 19:30 Uhr), am 7. und 8. April (jeweils 20 Uhr).
An der Szene „Gefangennahme am Ölberg“ muss noch gefeilt werden. „Seht, mein Verräter naht.“ Hagedorns Stimme klingt wie sie klingen soll: verloren, angstvoll. Die Jünger scharen sich um Jesus. Vom Seitenschiff her ertönt Lanzengeklirr, begleitet vom Geräusch marschierender Füße. Ein erst leise, dann laut und drohend klingendes Stakkato. Der Soldatentrupp nähert sich Jesus, wird aber von Montag zurückgeschickt. „Zu früh, ihr müsst Jesus erst ausreden lassen. Jürgen, nochmal: Ihr schlaft noch immer ?“ …
120 Laienspieler stellen das Geschehen um das Leiden und Sterben von Christus dar. Die vier Hauptteile Abendmahl, Verurteilung, Kreuzweg und Kreuzigung werden vom Kirchenchor musikalisch  untermalt. Wie 1996 übernahm der von Wolfgang Montag geleitete Küllstedter Carnevlaverein (KCV) die gesamte Inszenierung. Der Verein stellt fast alle Darsteller. „Bei den übrigen griffen wir auf bewährte Mitakteure aus anderen Vereinen zurück“, erzählt der 2. Vorsitzende des KCV, Roland Schmerbauch, der die Probe aufmerksam verfolgt. Zusammen mit Montag und Justina Mathias organisiert Schmerbauch die Passionsspiele.
▪ Werbende Händler
Für das etwa zweistündige Spiel nutzen die Darsteller die Oberammergauer Texte. Aber Handlungen und Dialoge wurden den eigenen Vorstellungen angepasst. Und: Die Zuschauer werden einbezogen. Das ist neu 2001. So werden die Händler, die den Tempel in Jerusalem als Basar missbrauchen, auch den Zuschauern ihre Waren anpreisen. Die Marktleute bewegen sich dabei im Mittelgang auf einer weit vorgeschobenen Bühne.
Großer Wert wird bei Kostümen und Requisiten auf Details gelegt, die der Anschaulichkeit dienen. Zum Beispiel tragen die römischen Soldaten die typischen geschnürten Sandalen, die ein Küllstedter Schuster anfertigte. Aber die Anschaulichkeit hat Grenzen. So wird nicht ausgepeitscht und fließt kein Blut. „Wir zeigen keine Gewalt“, sagt Schmerbauch. Symbolhaftes soll mehr Wirkung erzielen. Begeistert, weil es ihn 1996 so beeindruckt hat, schwärmt Schmerbauch von der Schlussszene. Angela Jakobi als Maria wird Bonhoeffers „Von guten Mächten wunderbar geborgen …“ singen.
Den Aufführungen schaut man im Eichsfeld und darüber hinaus mit großer Erwartung entgegen. Das Interesse belegt der florierende Vorverkauf. Für alle Abende gibt es nur noch Restkarten (Heimatstube Küllstedt, Telefon 036075/56777, Montag – Freitag 12 – 18 Uhr, Sonntag 11 – 12 Uhr). Und schon im Vorfeld der erst zweiten Spiele hören die Laienspieler die hoffnungsvolle Frage nach der Fortsetzung. Aber in das Alle-Fünf-Jahre-Korsett wollen sie sich nicht pressen lassen. „Wenn die Zeit reif ist …“, hält Schmerbauch die Antwort offen.
Im Altarraum hat Jesus seine Häscher empfangen und auch den Judaskuss. Stunde um Stunde wird weiter geprobt. Heute, morgen und noch jede freie Minute. Warum tun sie das? Jeder Akteur arbeitet unentgeltlich. Schmerbauch glaubt den Grund zu kennen: „Weil es allen sehr viel gibt.“

 

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